Wenn Simon einen Wunsch für Heiligabend frei gehabt hätte, dann wäre es dieser gewesen: gesund zu sein. Stattdessen lag er auf dem Sofa, die Decke bis zur Nase hochgezogen, und blickte mit müden Augen zu seiner Mutter, die ihm liebevoll eine kühle Kompresse auf die Stirn legte.
Sein Kopf war heiß, seine Beine schwer und sein Bauch fühlte sich so an, als hätte er einen kleinen, rebellischen Drachen darin, der einfach nicht still sein wollte.
„Muss ich jetzt wirklich schlafen?“ fragte Simon mit leiser, kratziger Stimme.
Seine Mutter lächelte sanft. „Du musst dich ausruhen, Schatz. Dein Körper kämpft gerade gegen den Infekt.“
„Aber es ist Weihnachten!“ rief Simon, so energisch er konnte, bevor ihm ein Hustenreiz über die Lippen kam. „Was, wenn ich einschlafe und den ganzen Tag verpasse?“
Da kam Clara, Simons große Schwester, ins Wohnzimmer gehüpft. Sie war bereits festlich gekleidet und trug ein strahlendes Lächeln auf den Lippen. „Keine Sorge, Simon“, sagte sie, während sie sich neben ihm niederkniete und ihm über den Arm strich. „Ich hab eine Idee!“
Simon hob schwach eine Augenbraue. Clara hatte oft Ideen, die meist in Chaos oder Gelächter endeten, oder manchmal in beidem. Aber jetzt klammerte er sich an jede Hoffnung. „Was denn für eine Idee?“
Clara sprang auf und rannte zur Küche, wo sie mit ihren Eltern flüsterte. Simon versuchte zu lauschen, aber er war zu müde, um auch nur den Kopf zu drehen. Nach ein paar Minuten kamen Clara und seine Eltern zurück, mit geheimnisvollen Gesichtern und einem Funken in den Augen.
„Also, Simon“, begann sein Vater und setzte sich neben ihn. „Wir haben beschlossen, Weihnachten ein wenig… umzustellen.“
„Umstellen?“ wiederholte Simon, sein Gehirn arbeitete langsamer als sonst.
„Ja“, sagte seine Mutter und setzte sich auf die andere Seite des Sofas. „Weißt du, normalerweise feiern wir Weihnachten am Abend, aber da du vielleicht einschläfst und alles verpasst, verlegen wir den Heiligabend einfach in die Mittagszeit.“
Simons Augen weiteten sich. „Das geht?“
„Natürlich geht das!“ rief Clara. „Wir machen einfach jetzt schon Bescherung! Es ist zwar noch hell draußen, aber wen stört das? Dann kannst du deine Geschenke sehen, bevor du ins Traumland abdriftest!“
„Aber… ist das nicht verboten?“ fragte Simon, halb neugierig, halb skeptisch.
„Weihnachten ist doch unser Fest“, sagte sein Vater lächelnd. „Und da bestimmen wir, wann was passiert. Wenn wir wollen, dass der Weihnachtsmann schon früher kommt, dann kommt er eben früher!“
Simon dachte einen Moment nach und spürte, wie sein Herz ein wenig schneller schlug. Der Gedanke, Weihnachten schon am Mittag zu feiern, war irgendwie aufregend. Es fühlte sich an wie ein kleines Geheimnis, als ob sie die Regeln der Zeit selbst beugen würden, nur für ihn.
„Na gut“, sagte Simon schließlich und setzte sich etwas auf. „Dann feiern wir eben Weihnachten… jetzt!“
„Ja!“ rief Clara, sprang auf und klatschte in die Hände. „Dann lasst uns anfangen!“
Seine Eltern tauschten ein Lächeln, und sofort begann die kleine Familie, die Vorbereitungen zu treffen. Simon saß auf dem Sofa und beobachtete, wie Clara die Weihnachtsmusik anschaltete und ihre Mutter den Tannenbaum noch einmal kontrollierte, damit auch alle Lichter richtig leuchteten. Sein Vater ging in die Küche, um den Kakao aufzuwärmen, und für einen Moment vergaß Simon beinahe, dass er eigentlich krank war.
Nach ein paar Minuten war alles bereit. Der Weihnachtsbaum stand prachtvoll im Raum, sein grünes Kleid mit glänzenden Kugeln, Anhängern und funkelnden Lichtern bedeckt. Und wie durch ein Wunder lagen die Geschenke wie bunte Schätze darunter! In Papier gehüllt, das im Licht glitzerte. Simon fühlte eine warme Welle von Vorfreude in sich aufsteigen, so stark, dass das Fieber für einen Moment gar nicht mehr zu spüren war.
„Bist du bereit, Simon?“ fragte seine Mutter sanft und setzte sich neben ihn.
Simon nickte energisch. „Ich bin bereit.“
Sein Vater setzte sich neben den Baum und griff nach dem ersten Geschenk. „Mal sehen, was wir hier haben… oh, es ist ein Geschenk für… Simon!“
Clara klatschte begeistert in die Hände. „Na los, Simon, öffne es!“
Mit zittrigen Fingern zog Simon das Geschenkpapier ab. Es fühlte sich irgendwie besonders an, Geschenke auszupacken, während draußen die Sonne noch schien. Das Licht, das durch das Fenster fiel, ließ das bunte Papier in all seinen Farben erstrahlen. Als er endlich das Papier beiseite schob, blickte er auf das Jumbo-Set mit der Kugelbahn darin, die er sich so sehr gewünscht hatte.
„Wow!“ rief Simon, seine Augen leuchteten auf. „Die ist ja mega“
„Da kannst du richtig tolle Bahnen bauen“, sagte Clara begeistert und beugte sich vor, um die Teile genauer zu betrachten. „Guck mal, mit Rampe.“
Simon hinzu und spürte, wie die Aufregung ihm neue Energie gab.
So ging es weiter: Geschenk für Geschenk wurde ausgepackt, und mit jedem neuen Spielzeug, Buch oder Kleidungsstück stieg Simons Freude. Sein Fieber schien fast vergessen, als er mit Clara Pläne für ihre nächste Bauten machte oder sich darüber freute, dass er das neue Superheldenbuch bekam, das er sich so sehr gewünscht hatte.
Nach der letzten Bescherung lehnte Simon sich zurück und seufzte zufrieden. „Das war das beste Mittags-Weihnachten aller Zeiten“, sagte er verschmitzt und blickte zu seinen Eltern.
„Es war ein ganz besonderes Weihnachten“, sagte seine Mutter und strich ihm über die Stirn. „Aber jetzt, kleiner Mann, solltest du dich wirklich ausruhen. Dein Körper braucht Schlaf, damit du bald wieder ganz gesund bist.“
Simon nickte, seine Augen fielen schon halb zu. Er fühlte sich zufrieden, warm und sicher, als hätte das Weihnachtswunder ihn auch im Kranksein erreicht. Er legte sich zurück auf das Sofa, zog die Decke wieder bis zum Kinn und spürte, wie die Müdigkeit ihn umarmte.
„Ich bring dich mal ins Bett“, sagte Simons Papa und schob Simon sanft in den Flur.
„Schlaf gut, Simon“, flüsterte Clara.
„Bis morgen“, murmelte Simon. In seinem Kinderzimmer angekommen, kuschelte sich Simon in sein Bett. Simons Papa ließ das Rollo herunter und verdunkelte so das Zimmer. Simon bekam davon fast nichts mehr mit und fiel in einen tiefen, friedlichen Schlaf.
—
Als Simon wieder aufwachte, wusste er nicht, ob es nachts war oder bereits der nächste Tag. Er blinzelte ein paar Mal und setzte sich auf. Seine Beine waren noch etwas wackelig, aber er fühlte sich besser. Viel besser. Simon öffnete die Tür seines Zimmers und ging in den Flur.
Es war dunkel, nur aus dem Wohnzimmer schien Licht in den Flur. Simon hörte Stimmen und Gelächter. Er schlurfte in seinem Schlafanzug den langen Flur entlang und stieß die Tür zum Wohnzimmer auf. Der Weihnachtsbaum stand noch immer so prächtig und festlich da wie am Mittag. Nur, dass diesmal die Lichterkette, die den Weihnachtsbaum schmückte, viel heller wirkte. Das lag daran, dass es draußen dunkel war.
„Wow…“, flüsterte Simon, als er die funkelnden Lichter betrachtete. Es war, als hätte der Baum auf ihn gewartet, bis er aufwachte, um ihn erneut zu bewundern. Die Kugeln spiegelten das warme Licht wider, und das sanfte Flackern der Kerzen tauchte den Raum in ein magisches Leuchten.
„Hey, du bist wach!“ flüsterte Clara plötzlich neben ihm.
Simons Eltern freuten sich, dass ihr Jüngster wieder fitter war. Simons Mutter befühlte seine Stirn. „Vielelicht noch etwas erhöhte Temperatur“, stellte sie fest und gab Simon einen Kuss auf die Wange.
„Ja“, sagte Simon und gähnte. „Ich hab fast alles verschlafen.“
Clara lachte leise. „Naja, du hast das Wichtigste mitbekommen. Und jetzt können wir noch ein bisschen den Baum genießen.“
Simon nickte und setzte sich neben Clara auf den Teppich, direkt vor den Baum. Sie saßen schweigend nebeneinander, die Köpfe leicht aneinander gelehnt, und schauten in die flimmernden Lichter, die wie kleine Sterne funkelten.
„Weißt du, Simon“, flüsterte Clara schließlich, „Weihnachten ist nicht nur die Geschenke oder das Essen oder die Lieder. Es ist auch das Gefühl, zusammen zu sein. Selbst wenn du krank bist, können wir Weihnachten immer noch schön machen.“
Simon lächelte. „Ja“, sagte er leise. „Weihnachten ist immer schön, egal wann.“
Und so saßen die beiden Geschwister noch eine Weile da und aßen Kekse, die Simons Vater ihnen gebracht hatte und bestaunten den Baum und die Geschenke.
Fröhliche Weihnachten!