Es war ein kalter Dezembermorgen, und das Altersheim „Sonnenschein“ bereitete sich wie jedes Jahr auf das Weihnachtsfest vor. Die großen Fenster waren mit glitzernden Schneeflocken aus Papier verziert, und in der Ecke des Gemeinschaftsraums stand ein prachtvoll geschmückter Weihnachtsbaum. Doch dieses Jahr schien etwas anders zu sein.
„Wo ist die Weihnachtsstimmung hin?“ grummelte Herr Meier, der älteste Bewohner des Heims. Mit seinen 92 Jahren war er nicht nur der älteste, sondern auch der mürrischste. Sein Bart war fast so weiß wie der Schnee draußen, und seine Augen funkelten wie Weihnachtslichter – allerdings eher in einem wütenden Rot als in festlichem Grün.
„Vielleicht hat sie sich dieses Jahr auch in Rente geschickt“, kicherte Frau Müller, eine lebensfrohe Dame mit lockigem grauen Haar und immer einem Scherz auf den Lippen.
„Nein, nein“, widersprach Frau Schmidt, die früher Lehrerin war und gerne den Überblick behielt, „wir müssen einfach nur die richtige Weihnachtsmusik auflegen. Dann kommt die Stimmung ganz von alleine.“
Aber als Herr Meier den alten Plattenspieler startete, quietschte die Nadel über die Schallplatte, und statt „Stille Nacht“ ertönte ein schauriges Kratzen. Frau Müller hielt sich die Ohren zu. „Oh je, das klingt eher nach einem Notfall!“
Die Kinder der Grundschule, die jedes Jahr zu Besuch kamen, waren noch nicht da, und die Belegschaft war mit den letzten Vorbereitungen für das Fest beschäftigt. Es sah ganz so aus, als würde Weihnachten dieses Jahr ziemlich trübselig werden.
„Ach, so ein Blödsinn“, murrte Herr Meier. „Früher brauchten wir keine großen Feiern, um in Weihnachtsstimmung zu kommen. Da gab’s vielleicht eine Orange und ein paar Nüsse, und das hat gereicht!“
Frau Müller verdrehte die Augen. „Ja, und damals seid ihr auch fünf Kilometer durch den Schnee barfuß zur Schule gegangen, nicht wahr?“
Bevor Herr Meier antworten konnte, kam ein kleiner Junge in den Gemeinschaftsraum gestürmt. Es war Max, der Enkel von Frau Schmidt, der die Bewohner manchmal besuchte. „Oma! Oma! Wo sind die anderen Kinder? Wir wollten doch heute Weihnachtslieder singen!“
Frau Schmidt lächelte. „Sie kommen bald, Max. Keine Sorge. Aber solange können wir doch selbst etwas vorbereiten, was meinst du?“
Max’ Augen leuchteten. „Wir könnten ein Theaterstück machen!“
Herr Meier schnaubte verächtlich. „Ein Theaterstück? In unserem Alter? Das ist doch nichts für uns.“
Aber Frau Müller sprang sofort begeistert auf. „Das ist eine wunderbare Idee! Wir können eine Weihnachtspantomime machen. Jeder bekommt eine Rolle, und dann führen wir es auf, wenn die Kinder kommen!“
Max hüpfte aufgeregt auf und ab. „Ja, genau! Und ihr seid die Schauspieler!“
Herr Meier schüttelte den Kopf, aber als er sah, wie die anderen Bewohner langsam neugierig wurden, konnte er nicht anders, als mit einem halben Lächeln zu murmeln: „Na gut, dann wollen wir mal sehen, was dabei herauskommt.“
🎄 Die Proben beginnen
Das nächste Problem war natürlich die Rollenverteilung. Frau Müller wollte unbedingt den Weihnachtsengel spielen, während Herr Meier, widerwillig wie immer, in die Rolle des Weihnachtsmanns schlüpfen musste. „Ich sehe doch nicht aus wie der Weihnachtsmann“, beschwerte er sich, während Max ihm eine rote Mütze aufsetzte.
„Du bist perfekt! Du hast den Bart, und du bist der Grummeligste von uns allen. Das passt super!“, rief Max begeistert.
„Und was soll ich sein?“ fragte Herr Lehmann, der stille Bewohner, der früher Tischler war und selten ein Wort verlor.
„Du bist der Elfenchef!“ entschied Max kurzerhand. „Du kannst doch bestimmt ganz toll Spielsachen bauen, oder?“
Herr Lehmann lächelte schwach und nickte.
Frau Schmidt entschied sich für die Rolle der Weihnachtsfee, und nach und nach hatten alle Bewohner ihre Rollen verteilt. Herr Meier rollte nur mit den Augen. „Na toll. Ein Weihnachtsmann ohne Rentiere.“
„Ich kann das Rentier sein!“, rief Max plötzlich und klemmte sich zwei Besenstiele als Hörner auf den Kopf. Die Bewohner lachten schallend, selbst Herr Meier konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
„Na gut, Max“, sagte Frau Schmidt lachend. „Aber dann brauchst du auch ein ordentliches Geweih.“ Sie schnappte sich etwas Alufolie und bastelte ihm blitzschnell ein glänzendes Geweih, das an einem Haarband befestigt wurde.
🎄 Der große Auftritt
Es war nun Heiligabend, und die Kinder der Grundschule waren endlich eingetroffen. Der Gemeinschaftsraum war gefüllt mit aufgeregtem Getuschel und freudigem Lachen. Die Bewohner von „Sonnenschein“ standen nervös hinter dem improvisierten Vorhang, der aus Bettlaken zusammengebunden war. Sie hatten das Stück zwar nur zwei Mal geprobt, aber Frau Müller war überzeugt, dass es ein großer Erfolg werden würde.
„Du musst einfach nur ‚Ho ho ho‘ sagen, wenn du auf die Bühne kommst“, flüsterte Max zu Herr Meier, der noch immer skeptisch seine Weihnachtsmannmütze zurechtrückte.
„Ich weiß, ich weiß“, brummte er. „Ich bin doch nicht taub.“
Das Stück begann. Frau Müller als Engel trat als erstes auf die Bühne und begrüßte die Kinder. „Willkommen zur Weihnachtszeit, liebe Kinder! Der Weihnachtsmann und seine Elfen bereiten alles für das große Fest vor!“
Dann kam Herr Lehmann, der als Elfenchef eine große Spielzeugkiste auf die Bühne zog. „Wir haben alle Spielsachen fertig gebaut!“
Max als Rentier sprang auf die Bühne und machte lustige Rentiergeräusche, was die Kinder in schallendes Gelächter ausbrechen ließ. „Ich bin bereit, die Geschenke auszuliefern!“, rief er, während er stolperte und fast über seine eigenen „Geweih“-Hörner fiel.
Dann war es endlich Zeit für Herrn Meier. Er trat in seinem roten Weihnachtsmannkostüm auf die Bühne und räusperte sich laut. „Ho ho ho“, sagte er widerwillig, und die Kinder jubelten. Herr Meier, der anfangs so grummelig gewesen war, konnte nicht anders, als ein bisschen stolz zu lächeln. „Na gut“, murmelte er, „das macht ja doch ein bisschen Spaß.“
Gerade als das Rentier Max die Geschenke an die Elfen übergeben wollte, passierte das große Missgeschick: Herr Lehmann stolperte über die Spielzeugkiste, und die „Geschenke“ – allesamt leere Kartons – flogen in die Luft und regneten auf die Bühne herab.
„Oh nein!“, rief Frau Müller dramatisch, doch das Publikum lachte lauthals. Es war so komisch, dass niemand mehr still sitzen konnte.
Herr Meier, der inzwischen so viel Spaß hatte wie schon lange nicht mehr, winkte fröhlich ab. „Keine Sorge, ich habe noch ein paar Reservegeschenke! Ho ho ho!“
Max, der als Rentier am Boden lag und über das Chaos lachte, rief: „Das Weihnachtsfest ist gerettet!“
🎄 Ein gelungenes Fest
Als das Stück zu Ende war, gab es donnernden Applaus von den Kindern und dem Pflegepersonal. Die Bewohner des Altersheims verbeugten sich stolz, selbst Herr Meier verbeugte sich – wenn auch ein wenig steif. „Na, das war doch gar nicht so schlecht“, murmelte er, während er sich die Mütze abnahm.
Nach der Aufführung setzten sich alle gemeinsam um den Weihnachtsbaum, und Max begann, mit den Kindern Weihnachtslieder zu singen. Die Bewohner summten leise mit, während sie heiße Schokolade tranken und die festliche Atmosphäre genossen.
Frau Müller grinste zu Herr Meier hinüber. „Na, was sagst du? War doch ein schönes Weihnachtsfest, oder?“
Herr Meier seufzte, aber es war kein mürrisches Seufzen, sondern eines, das fast ein Lächeln verbarg. „Ja, ja“, brummte er, „vielleicht war’s doch nicht so schlecht.“
Max sprang plötzlich auf und rief: „Und nächstes Jahr machen wir das wieder! Aber dann mit echten Rentieren!“
Herr Meier schüttelte lachend den Kopf. „Mal sehen, Junge. Mal sehen.“
Und so endete das Weihnachtsfest im Altersheim „Sonnenschein“ mit viel Gelächter, einem kleinen Theaterspiel und der überraschenden Erkenntnis, dass man nie zu alt ist, um Weihnachten zu genießen – sogar, wenn man der grummeligste Weihnachtsmann aller Zeiten ist.