Schon wieder war es passiert: Das Schneeschild vor der alten Bäckerei hatte sich gelockert und war mitten auf die Straße gefallen.
„Bäckerei Winterträume – seit 1952“, stand darauf, doch jetzt lag es schief und halb vergraben im Schnee. Frau Winter, die Besitzerin, stand mit einem Besen in der Hand vor dem Schaufenster und schüttelte den Kopf.
„Vielleicht sollte ich das Schild einfach liegen lassen“, murmelte sie und strich ihre grauen Haare aus dem Gesicht. „Wer kommt denn schon noch?“
Die kleine Bäckerei am Rande der verschneiten Kleinstadt war einmal ein lebhafter Ort gewesen. Kinder hatten hier Schokobrötchen gekauft, Erwachsene ihren Nachmittagskaffee genossen, und jeden Samstag duftete es nach frischen Zimtschnecken, die aus dem Ofen kamen.
Doch in den letzten Jahren war es stiller geworden. Große Supermärkte hatten die Kunden abgeworben, und Frau Winter wurde älter. Nun stand sie hier, kurz vor Weihnachten, und überlegte, ob sie die Bäckerei nach den Feiertagen endgültig schließen sollte.
„Mama, was ist das für ein seltsames Schild?“ Die kleine Lina, acht Jahre alt und voller Entdeckerlust, hielt sich die Nase an die Bäckereischeibe und versuchte, einen Blick ins Innere zu erhaschen.
Ihr jüngerer Bruder Ben, fünf Jahre alt, stand neben ihr und scharrte mit den Füßen im Schnee.
„Das ist eine Bäckerei, mein Schatz“, erklärte ihre Mutter und zog ihre Kinder vom Schaufenster weg. „Aber sie sieht geschlossen aus.“
„Aber Mama!“ Lina ließ sich nicht so leicht abwimmeln. „Da drin riecht es nach Zimt und Schokolade! Kann ich bitte reingehen?“
Die Mutter lächelte. „Na gut. Aber nur kurz.“
Als die Tür der Bäckerei klingelnd aufschwang, blickte Frau Winter überrascht von ihrem Besen auf. „Oh! Besuch!“, rief sie, stellte den Besen in die Ecke und wischte hastig ihre Hände an der Schürze ab. „Kommt rein, kommt rein, draußen ist es doch so kalt!“
Lina und Ben traten vorsichtig ein, und ihre Augen wurden groß. Die Bäckerei sah aus wie etwas aus einem Märchenbuch.
Regale voller Lebkuchenherzen, Tüten mit Zuckerstangen und kleine, glitzernde Weihnachtssterne aus Marzipan. Es roch so gut, dass Ben kurz die Augen schloss.
„Was können wir euch Gutes tun?“, fragte Frau Winter mit einem Lächeln.
„Gibt es noch Schokobrötchen?“ Ben fragte mit großen, hoffnungsvollen Augen.
Frau Winter lachte. „Schokobrötchen gibt es immer, kleiner Mann. Setzt euch hin, ich bringe euch welche.“
Während Lina und Ben sich an einen kleinen Tisch setzten, der mit einem karierten Tuch und einem Adventskranz dekoriert war, blickte ihre Mutter sich um. „Es ist wunderschön hier“, sagte sie. „Warum ist es so ruhig?“
Frau Winter seufzte und stellte den Kindern zwei dampfende Schokobrötchen hin. „Ach, es kommen nicht mehr viele Leute“, gab sie zu. „Die großen Läden haben alles, was die Leute brauchen, und ich bin alt. Ich überlege, nach Weihnachten zu schließen.“
„Das dürfen Sie nicht!“ Lina verschluckte sich fast an ihrem Brötchen. „Das hier ist die beste Bäckerei der Welt!“
„Oh, das ist lieb von dir“, sagte Frau Winter und zwinkerte. „Aber ich glaube, meine Zeit ist vorbei.“
—
Am nächsten Tag erzählte Lina ihren Freunden in der Schule von der Bäckerei. „Wir müssen ihr helfen“, sagte sie mit ernstem Gesichtsausdruck, während sie auf ihrem Stuhl hin und her rutschte. „Sonst gibt es keine Schokobrötchen mehr!“
„Aber was können wir tun?“, fragte ihre beste Freundin Mia. „Wir sind doch nur Kinder.“
„Wir können Werbung machen!“, rief Lina begeistert. „Und wir könnten helfen, die Bäckerei zu dekorieren. Es ist doch fast Weihnachten!“
So begann die große Rettungsaktion der Bäckerei Winterträume. Am Nachmittag marschierte Lina mit einer kleinen Gruppe Kinder zur Bäckerei, wo sie Frau Winter ihre Idee erklärten.
„Ihr wollt mir helfen?“, fragte Frau Winter ungläubig.
„Ja!“ Lina nickte entschlossen. „Wir machen Plakate, verteilen Flyer und schmücken die Bäckerei. Und Ben hat gesagt, er hilft beim Backen!“
„Ich kann Schokolade essen!“, rief Ben stolz und alle lachten.
Frau Winter war gerührt. „Na gut“, sagte sie. „Aber nur, wenn ihr nicht die ganze Küche in Schokolade verwandelt.“
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Die nächsten Tage waren ein Wirbel aus Aktivitäten. Die Kinder malten bunte Plakate mit Sprüchen wie „Die besten Schokobrötchen der Stadt!“ und „Weihnachtszauber in der Bäckerei Winterträume!“
Sie hängten die Plakate in der ganzen Stadt auf und schrieben Einladungen, die sie in die Briefkästen warfen. Einige von Linas Freunde halfen, die Bäckerei mit Girlanden, Lichterketten und kleinen Tannenbäumen zu dekorieren.
„Es sieht aus wie ein Weihnachtswunderland!“, rief Mia, als sie den letzten Stern an den Baum hängte.
Frau Winter konnte es kaum fassen. Ihre kleine Bäckerei blühte wieder auf, und sie fühlte sich, als wäre sie 20 Jahre jünger. Doch der größte Schock kam am Morgen des Weihnachtsmarkttages.
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Es schneite dicke Flocken, als Frau Winter die Tür öffnete und auf die Straße blickte. Vor ihrer Bäckerei wartete eine lange Schlange von Menschen – Eltern, Kinder, Großeltern, sogar der Bürgermeister war da!
„Was ist denn hier los?“, flüsterte sie, als Lina lachend auf sie zueilte.
„Es hat funktioniert!“, rief Lina. „Die Leute lieben die Bäckerei!“
Den ganzen Tag über kamen die Menschen, kauften Plätzchen, tranken heißen Kakao und bewunderten die festliche Dekoration. Frau Winter hatte alle Hände voll zu tun, aber sie lächelte die ganze Zeit.
„Das sind die besten Schokobrötchen, die ich je gegessen habe!“, sagte der Bürgermeister, während er in die Kamera eines Reporters winkte. „Wir brauchen mehr solche Orte in unserer Stadt.“
„Das ist wie im Märchen“, flüsterte Frau Winter, als sie am Abend mit Lina und Ben vor dem Kamin saß.
„Nein“, sagte Lina mit einem Lächeln. „Das ist Weihnachten.“
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Die kleine Bäckerei blieb nicht nur über Weihnachten hinaus geöffnet, sondern wurde wieder zu einem Treffpunkt für die ganze Stadt. Frau Winter fühlte sich nicht mehr allein, und die Kinder freuten sich jedes Mal, wenn sie die süßen Leckereien probieren konnten.
Und von diesem Tag an wusste jeder in der Stadt: Manchmal braucht es nur ein paar Schokobrötchen und einen großen Haufen Teamgeist, um den Zauber von Weihnachten wieder zum Leben zu erwecken.
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